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Zwischen Schatten und Klang: Die Geburt von BUTO BAYANG

  • Casey Seaward
  • 12 November 2025
Zwischen Schatten und Klang: Die Geburt von BUTO BAYANG

Credits: Tessa Bozek

Ein Blick in das in Berlin verankerte Projekt, das asiatische Künstler*innen, Diasporas und Underground-Bewegungen über Kontinente hinweg verbindet.

Berlin atmet Dualität: Ost und West, Stille und Bass, Bruch und Schöpfung. Aus dieser Spannung erhebt sich BUTO BAYANG - kein Label, kein Kollektiv, sondern eine Erklärung: ein Raum, von und für asiatische Künstler*innen in der elektronischen Musik. In Berlin verwurzelt und doch weit darüber hinausreichend, ist es ein Angebot an das Ungesehene, das Diasporische, das Dazwischen.

Im Kern ist BUTO BAYANG ein Akt der Solidarität und der Selbstbestimmung. Mitbegründet von ENNIO und HAMY, zwei Künstler*innen, die sich seit Langem zwischen Kulturen, Sprachen und Erwartungen bewegen, schafft es Platz für diejenigen, die sich im dominanten Club-Panorama der Stadt selten gespiegelt sehen, wo die Freiheit des Dancefloors allzu oft vor echter Inklusion haltmacht.

HAMY wurde in West-Berlin als Kind vietnamesischer Eltern geboren und wuchs dort auf – weit entfernt von der starken vietnamesischen Community im Osten. „Unter deutschen Mitschülern war ich fremd, und unter Vietnames*innen war ich ‘zu westlich’“, erinnert sie sich. Ihr erster Clubbesuch mit 17 war auch das erste Mal, dass sie sich nicht über ihre Identität definiert fühlte. „Diese frühe Erfahrung drehte sich nicht darum, Identität zu fliehen“, sagt sie. „Es ging darum, sie nicht verteidigen zu müssen.“

Für ENNIO, halb indonesisch und halb osteuropäisch, kam das Bedürfnis nach Verbindung später. Umgeben von anderen asiatischen Künstlerinnen und Freundinnen in Berlin, spürte er die Leerstelle, das Fehlen eines kollektiven Zuhauses. „Wir waren von asiatischen Freund*innen und Artists umgeben und haben trotzdem das Vakuum gespürt“, sagt er. „Es gibt bis heute keine echte Plattform, die uns alle zusammenbringt.“

Dieser geteilte Moment der Erkenntnis, der eine in Zugehörigkeit verwurzelt, der andere im Mangel – wurde zum Samen von BUTO BAYANG: keine Definition von Identität, sondern eine Umarmung ihrer Ungewissheit.



Der Name selbst vereint Mythos und Bewegung. „BUTO“ stammt aus der indonesischen Mythologie: ein Geist- oder Dämonenwesen am Rand, gefürchtet, missverstanden oder unterdrückt. „BAYANG“, Schatten, spricht zur diasporischen Erfahrung: zwischen Kulturen zu existieren, oft in ihrem Schatten, und doch Freiheit im Nichtwissen zu finden. Zusammen werden sie zur Sprache der Transformation: Herkunft als Widerstand, Sanftheit als Kraft. „Es erinnert uns daran, dass Identität im Unbestimmten atmet und wächst, nicht im Schwarz oder Weiß“, sagen sie. BUTO BAYANG ist zugleich Anrufung und Weigerung: sich festlegen, einrahmen, vereinfachen zu lassen.

ENNIOs DJ-Sets bewegen sich zwischen Stimmungen und Genres, geleitet eher von Emotion als von Struktur. Wie sein Zugang zu Identität verweigert auch sein Sound feste Grenzen. Im Studio zeigt sich dieselbe Energie in Produktionen, die auf funktionale Clubmusik zielen und gelegentlich in Ambient ausgreifen. Sein jüngster Track „Chim Lạc Dần, Garuda!“, gemeinsam mit HAMY entstanden, kanalisiert ihre vietnamesischen und indonesischen Hintergründe in ein gemeinsames Statement der Sichtbarkeit asiatischer Stimmen in der Clubkultur – und berührt dieselben Ideen, die hinter BUTO BAYANG stehen.

HAMY begreift ihr DJing als Storytelling, Spannung und Zärtlichkeit Seite an Seite. Ihre Sets sind ruhelos, wechseln von Rauheit zu Anmut, von Loslassen zu Wiedererkennen. „Ich möchte, dass es sich wie ein Gespräch anfühlt“, sagt sie.

Credits: Julien Tell

Visuell weist das Projekt die Idee zurück, westliches Design sei eine universelle Sprache. „An der UdK haben wir das Schweizer Raster, Bauhaus-Klarheit gelernt, alles als ‘neutral’ gerahmt“, erinnert sich HAMY. „Aber das ist es nicht. In vietnamesischem oder südostasiatischem Design sah ich Gold, Detailfülle, Chaos, Symmetrie – Dinge, die im westlichen Diskurs als ‘zu viel’ gelten würden. Aber was, wenn ‘zu viel’ der Punkt ist?“ In BUTO BAYANG wird „zu viel“ zur eigenen Poesie: dicht, emotional und unapologetisch lebendig. „Manchmal habe ich an meiner Ästhetik gezweifelt“, gibt sie zu, „doch diese Zweifel kamen daher, dass ich durch jemand anderes Linse schaute. Hier sind diese Elemente nicht ‘anders’, sie sind zentral.“

Für HAMY ist Berlin gleichermaßen Heimat und Widerspruch: eine Stadt, die Luft zum Atmen gibt und zugleich ständige Aushandlung fordert. „Diese Stadt hat uns geprägt“, sagt sie, „aber sie ist nicht das Zentrum dessen, was wir tun.“ ENNIO stimmt zu: „Berlin bedeutet Privileg und Verantwortung zugleich. Wir haben Zugang zu Infrastruktur, zu Publikum. Von hier aus zu arbeiten heißt, das, was die Stadt uns gibt, zu nutzen, um etwas zurückzugeben.“

Credits: OKTAPUSS

Ihre Asien-Tour 2025, durch Shanghai, Chengdu, Singapur, Tokio, Bali, Bangkok, Ho-Chi-Minh-Stadt und Hanoi, erdete diese Ideen in der Praxis. „Wir sahen Menschen, die Communities aus dem Nichts aufbauten, oft ohne institutionelle Unterstützung“, sagt HAMY. „Es gibt einen starken DIY-Spirit, weniger Ego, mehr Fürsorge. Das ließ uns neu darüber nachdenken, was ‘Underground’ wirklich bedeutet.“ Diese Reise brachte auch Demut: „Wir kommen mit Zugang und Privilegien“, reflektiert ENNIO. „Gute Absichten reichen nicht; wir müssen zuerst zuhören, langsam handeln und Raum lassen, damit andere führen.“ In ihrer Welt ist BUTO BAYANG kein Export, sondern ein Austausch: „Wir sind hier, um zu kollaborieren, Brücken zu bauen, keine Pipelines.“

„Repräsentation wird zur Tokenisierung, wenn sie eine bestehende Struktur schmückt, anstatt sie zu verwandeln“, sagt ENNIO. Sichtbarkeit bedeutet hier Eigenbesitz: Künstler*innen definieren ihre eigenen Narrative, statt in fremde eingeordnet zu werden. HAMY beschreibt es als eine Form der Fürsorge: „Wir tun das nicht, um etwas zu beweisen. Wir tun es, um etwas zu halten, eine Art kulturelle Intimität zu schützen, die hier schwer zu finden sein kann.“ Die Community, die sie aufbauen, ist offen, aber intentional. „Wer sich damit identifiziert, ist willkommen“, schreiben sie. „Wir glauben nicht an Gatekeeping, wohl aber an Intention.“ Es geht weniger darum, wer hineinkommt, sondern wie Menschen sich im Inneren bewegen, ein Ökosystem aus Respekt, Rhythmus und Verantwortung.

Die erste BUTO BAYANG-Showcase-Nacht steigt am 6. November im Fitzroy, mit Jessica Nightlife, Julien Tell aka DJ Tell, DJ EL von Kretekklang und den Gründer*innen selbst. Der Abend bietet ein paar limitierte asiatische Specials: kleine Gesten der Wärme, bevor der erste Kick einsetzt. Das markiert den Beginn einer größeren Konstellation: Kollaborationen, Residenzen und Compilations, die Artists in Europa und Asien verbinden. „Wir wollen Türen in beide Richtungen öffnen“, sagt HAMY. „Emerging Artists aus Asien hier sichtbarer machen und jenen in Europa Raum geben, sich wieder mit ihren Wurzeln zu verbinden.“ ENNIO ergänzt: „Wir wollen nicht schnell skalieren oder Trends hinterherlaufen. Wir wollen etwas bauen, das bleibt – weil es auf etwas Echtem gründet.“

Berlin kann gesättigt wirken, doch BUTO BAYANG lebt vom Ungesagten. „Die Stadt ist voll, ja“, sinniert ENNIO, „aber vor allem mit Wiederholung. Dieselben Namen, dieselbe Ästhetik. Wenn du etwas aus Authentizität heraus baust, etwas, das Menschen gesehen und verbunden fühlen lässt, dann reagieren sie.“ Für HAMY ist das Dazwischen nicht Abwesenheit, sondern Fülle: „Es ist ein liminaler Raum, in dem Widersprüche koexistieren können, in dem Neues wachsen kann.“ Ihre Kunst, ihr Sound, ihre Visuals, ihre Energie bewegen sich zwischen Gegensätzen: Schatten und Schimmer, Zugehörigkeit und Einsamkeit, Chaos und Klarheit. BUTO BAYANG beansprucht nicht, alle zu repräsentieren; es schafft einen Spiegel, in dem andere sich endlich wiederfinden könnten. Es summt leise zwischen den Welten, strahlend in seiner Zurückhaltung.

In einer Szene, die von Neuheit besessen ist, fühlt es sich zugleich älter und dringlicher an, eine Erinnerung daran, dass der radikalste Akt vielleicht einfach darin besteht, zu bleiben. Nicht zu tanzen, um der Welt zu entfliehen, sondern um vollständig in ihr zu existieren. „Wir sind zwischen Welten aufgewachsen. Jetzt nutzen wir diesen Raum, um unsere eigene zu bauen – während wir Asiatische Communities, die Diaspora und alle feiern, die ihre eigene Form von Zugehörigkeit schaffen.“ Vielleicht ist das der Puls von BUTO BAYANG: ein gemeinsames Werden, in Bewegung.

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